Witzenhausen(pm). Am 17. November 2025 setzte die Universität Kassel am Standort Witzenhausen in Kooperation mit dem Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) eine bewährte Tradition fort: Seit 2007 vernetzt der gemeinsame Hochschultag Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft, Beratung und landwirtschaftlicher Praxis und fördert deren Austausch. Unter dem Titel „Langzeitversuche in der Landwirtschaft – Praxisnahes Wissen für nachhaltige Anbausysteme“ rückte die Veranstaltung in diesem Jahr ein Thema in den Mittelpunkt, das für die Zukunft der Landwirtschaft von zentraler Bedeutung ist. Langzeitversuche liefern fundierte Erkenntnisse über die Auswirkungen verschiedener Anbauverfahren, insbesondere auf den Boden.
Langfristige Forschung und praxisnahe Lösungen
Prof. Dr. Miriam Athmann von der Universität Kassel eröffnete den Hochschultag und führte durch die Veranstaltung. In ihrem Grußwort merkte Prof. Dr. Katrin Zander (Fachgebietsleiterin Agrar- und Lebensmittelmarketing, Universität Kassel) an, dass das Innovationszentrum für Agrarsystemtransformation (IAT) ab 2026 als dauerhafte strategische Erweiterung des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), der Universität Kassel und der Hochschule Geisenheim aufgebaut wird. In Witzenhausen werden dabei mehrere neue Professuren angesiedelt – ein Schritt, der neues wissenschaftliches Potenzial für Forschung und Lehre am Standort verspricht. Sie verdeutlichte zudem, welchen Wert Langzeitversuche als typische Systemansätze des ökologischen Landbaus haben, da sie Erkenntnisse vom Acker über betriebliche Praxis und Wertschöpfungsketten bis hin zu nationalen und internationalen Perspektiven liefern. „Langfristige Forschung ist keine nostalgische Disziplin, sondern eine Investition in die Zukunft“, erklärte Katrin Walmanns (kommissarische Leitung des LLH) und betonte: „Wir brauchen stabile Strukturen, um die Veränderungen unserer Agrarsysteme über Jahrzehnte zu begleiten und zu verstehen.“ Langfristig angelegte Versuche lehren, über den Zeitraum einer Vegetationsperiode hinauszudenken und seien unverzichtbar, um die richtigen Weichen für morgen zu stellen. Der LLH arbeitet deshalb engagiert daran, Forschungsergebnisse nicht im Labor oder auf Versuchsfeldern zu belassen, sondern praxisnahe, nachhaltige Lösungen für die Landwirtschaft zu entwickeln.
Beispielhaft nannte Katrin Walmanns die Beteiligung am Projekt „Anpassung an den Klimawandel in Hessen – Erhöhung der Wasserretention des Bodens durch regenerative Ackerbaustrategien“ (AKHWA), in dem untersucht wird, ob regenerative Anbaumethoden die Wasserhaltefähigkeit der Böden verbessern und das Mikroklima abkühlen. Weitere Versuche
laufen auf dem Ökoversuchsfeld Ober-Erlenbach, an der Versuchsstation Kassel-Harleshausen sowie am Landwirtschaftszentrum Eichhof in Bad Hersfeld. Letzteres führt u.a. Pflanzenbauversuche zu Markfruchtbau, Grünland, Futterbau, Energiepflanzen und Landschaftspflege durch. Walmanns hob hervor, dass nachhaltige Landwirtschaft sowohl Forschungsräume als auch regelmäßigen Austausch zwischen Wissenschaft, Beratung und Praxis benötigt – und dass der LLH diese Entwicklungen aktiv unterstützt und fördert. Besonders verwies sie auf das Netzwerk AKIS (Agricultural Knowledge and Innovation System), das Wissenstransfer und Innovation im Agrarsektor systematisch begleitet.
Einblicke in historische Ackerbauversuche
Am Vormittag wurden im Rahmen des Hochschultags Versuche mit beeindruckend langer Laufzeit aus dem In- und Ausland vorgestellt. Den Auftakt machte Dr. Hans-Martin Krause (FiBL Schweiz), der die wichtigsten Erkenntnisse aus über 45 Jahren Forschung im Schweizer DOK-Versuch präsentierte. Der Systemvergleich wurde 1978 von interessierten Landwirtinnen und Landwirten unter der Fragestellung „Ist Biolandbau machbar?“‘ initiiert. Aus rund 100 wissenschaftlichen Studien ergeben sich inzwischen klare Aussagen über Unterschiede zwischen biologisch-dynamischen, organisch-biologischen und konventionellen Anbausystemen in Bezug auf Bodenfruchtbarkeit, Erträge, Ressourceneffizienz und ökologische Leistungsfähigkeit. Anschließend stellte Dr. Wiebke Niether (JLU) Ergebnisse aus dem Fruchtfolge-Bodenbearbeitungs-Versuch „Organic Arable Farming Experiment Gladbacherhof“ (OAFEG) vor. Dieser besteht seit 1998 auf dem Gladbacherhof, einer hessischen Staatsdomäne, die der JLU als Lehr- und Versuchsbetrieb für Ökologischen Landbau dient. Die Referentin zeigte auf, welchen Einfluss Fruchtfolgen, organische Düngung und Bodenbearbeitung vor Ort auf den Kohlenstoffgehalt der Böden haben und welche Maßnahmen langfristig zum Erhalt bodengebundener Ressourcen beitragen.
Jüngere hessische Versuchsanlagen im Fokus
Simeon Leisch-Waskönig (Universität Kassel) erläuterte den AKHWA-Langzeitversuch zur regenerativen Landwirtschaft. Das vom Hessischen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat (HMLU) geförderte Projekt startete 2020 und ist zunächst bis 2028 angelegt. Anhand der Frage „Kann regenerativer Ackerbau zu besseren Bodenfunktionen, mehr Bodenleben und stabilen Erträgen beitragen?“‘ diskutierte Leisch-Waskönig Chancen und Grenzen des Forschungsansatzes sowie erste Ergebnisse hinsichtlich
Bodenentwicklung und Resilienz. Es folgten Erkenntnisse aus dem 2017 aufgenommenen Langzeitversuch Ökologischer Landbau Frankenhausen (ÖLAF). Grundlegend für landwirtschaftliche Betriebe relevant sind die dahingehend behandelten Fragen, ob Anbausysteme mit kurzfristig hohen Erträgen auch langfristig nachhaltig sind oder die Bodenfruchtbarkeit mindern, wie das standortbezogene Ertragspotenzial dauerhaft erhalten bleiben kann und ob die Wirtschaftlichkeit selbst bei maximaler Ausschöpfung der Ertragsfähigkeit erhalten bleibt. Morten Möller (Universität Kassel) und Dr. Andreas Hammelehle (Fachinformation Ökologischer Landbau des LLH) verglichen Strategien für Nährstoffmanagement und Resilienz in viehlosen ökologischen
Betriebssystemen und stellten deren Nachhaltigkeit anhand erster Auswertungen gegenüber. Darüber hinaus präsentierte Prof. Dr. Tobias Weber (Universität Kassel) die Forschungsplattform Eddy-Kovarianz-Systeme. Diese ermöglicht die hochauflösende Erfassung von Klimagas-, Wasser- und Energieflüssen und liefert damit wichtige Daten zu klimarelevanten Prozessen in
Agrarökosystemen.
Der Vormittag bot einen umfassenden Blick auf die wissenschaftliche Perspektive. Es wurde deutlich, dass Langzeitversuche ein unverzichtbares Instrument sind, komplexe Entwicklungen wie
Humusaufbau, Wasserhaushalt, Fruchtfolgen, Kohlenstoffdynamik und klimabezogene Effekte in Agrarökosystemen wissenschaftlich belastbar zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Anlagen seien zunehmend relevant, um den Herausforderungen des Klimawandels und der Ressourcenverknappung fachlich fundiert begegnen zu können.
Podiumsdiskussion zur Relevanz von Langzeitversuchen
Wie wichtig der direkte Austausch zwischen Politik, Wissenschaft, Beratung und Praxis ist, zeigte am Nachmittag zudem eine Podiumsdiskussion, die von Lisa Fröhlich (LLH-Klimaschutzberatung) und Natalia Riemer (Universität Kassel) moderiert wurde. Unter der Leitfrage „(Warum) braucht es Langzeitversuche?“ diskutierten aus den genannten Bereichen folgende Expertinnen und Experten: die Landtagsabgeordnete Kerstin Geis (Sprecherin der SPD-Fraktion im Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz), Dr. Christian Hey (HMLU), Dr. Ute Williges (Fachgebietsleitung Ökologischer Landbau im LLH), Andreas Sünder (Leitung der Fachinformation Ökologischer Landbau im LLH), Martin Trieschmann (Vereinigung Ökologischer Landbau in Hessen), Landwirt Christoph Förster (Betriebsleitung hessische Staatsdomäne Marienborn), Prof. Dr. Tobias Weber (Universität Kassel) und Dr. Christian Bruns (Universität Kassel). Nach dem Einblick in die wissenschaftliche Perspektive am Vormittag begann die Podiumsdiskussion aus der Perspektive der Beratung. Zunächst wurde erläutert, wie die Ergebnisse von Langzeitversuchen in die tägliche Arbeit einfließen. Martin Trieschmann führte an, dass sich viele Informationen aus Langzeitversuchen für die Beratung nutzen ließen, dies jedoch nur eine Ebene der Beratung darstelle. Praktiker Christoph Förster ergänzte: Langzeitversuche seien sehr wichtig für Betriebe, da Ergebnisse teilweise direkt angewendet werden könnten. Gleichzeitig bestehe noch Potenzial, die Daten besser zusammenzufassen und zugänglicher zu machen, da Landwirtinnen und Landwirte im Alltag kaum Gelegenheit haben, umfangreiche Informationssammlungen zu sichten. Beispielsweise Erkenntnisse zur Fruchtfolgeplanung werden angesichts der klimatischen Veränderungen immer relevanter für die Betriebe.
Dr. Christian Bruns ging auf die zeitliche Dimension ein: „Man muss sich die Zeit nehmen, dann gibt es auch Differenzierungen.“ Er erklärte, dass sich erste deutliche Unterschiede in den Versuchsfragestellungen erst nach fünf bis sieben Jahren zeigen, was die Notwendigkeit langfristiger Beobachtungen und gesammelter Daten unterstreicht. Aus Sicht der Politik sei eine klare Kommunikation wichtig, um die Ergebnisse anschlussfähig zu machen Bezüglich der Frage, wie wissenschaftliche Ergebnisse in Beratung und Praxis gelangen, wies Trieschmann darauf hin, dass Beraterinnen und Berater eng mit der Praxis zusammenarbeiten. Veranstaltungen und Kolloquien seien vielversprechende Formate, um den Wissenstransfer zu gewährleisten. Daran knüpfte Dr. Ute Williges an: „Langzeitversuche sind sehr komplex, gerade in Bezug auf die Datenverarbeitung.“ Sie sprach sich für eine dauerhafte Koordinationsstelle aus, die Langzeitversuche im Blick behält und dabei sowohl Wissenschaft als auch Beratung und Praxis einbindet. Eine solche Stelle sollte langfristig finanziert sein und ein grundlegendes Verständnis für Langzeitversuche wie auch für einen funktionierenden Datentransfer in alle Richtungen mitbringen.

Andreas Sünder ergänzte, dass der Ergebnistransfer in die Praxis ebenfalls strukturiert erfolgen müsse: „Es ist das Ansinnen jedes Versuchs, die Arbeit daraus zu multiplizieren und jene Stellen damit zu erreichen, für die der Versuch gedacht ist.“ Demnach bereite die LLH-Fachinformation Ökologischer Landbau die Ergebnisse so auf, dass sie etwa auf Feldtagen diskutiert und mit Praktikerinnen und Praktikern direkt erörtert werden können. Dies ermögliche nicht nur den Wissenstransfer, sondern auch einen Rückfluss der Praxiserfahrungen in die Beratung. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Finanzierung von Langzeitversuchen. Bruns betonte, dass neben der Dauer der Forschung ebenfalls die Zeit für Maßnahmenplanung berücksichtigt werden müsse. Die Politik verwies auf das Praxisforschungsnetzwerk Hessen (PFN) als Beispiel für erfolgreiche Kooperation verschiedener Akteurinnen und Akteure und deren Vermittlungsleistung. Das vom
HMLU geförderte Projekt vernetzt seit 2020 landwirtschaftliche Betriebe, Wissenschaft und Beratung, um gemeinsam praxisrelevante Forschungsvorhaben zu entwickeln. Aus politischer Perspektive wurde weiterhin unterstrichen, dass evidenzbasierte Entscheidungen nur dann möglich sind, wenn entsprechende Datengrundlagen über viele Jahre vorliegen. Aus der Podiumsdiskussion ging deutlich hervor, dass alle beteiligten Akteursgruppen sich stärker gemeinsam abstimmen sollten, wie sich das Versuchswesen sowie Zusammenarbeit und Wissenstransfer besser organisieren lassen. Die vorhandenen Ressourcen der verschiedenen Institutionen müssten so genutzt werden, wie sie gedacht sind: Die Beratung habe den Auftrag, Wissen in die Praxis zu tragen – dafür brauche sie jedoch Ergebnisse, die verständlich und praxisgerecht für die Landwirtschaft aufbereitet sind. Gleichzeitig sei es wichtig, dass die Wissenschaft ein Grundverständnis für betriebliche Abläufe entwickelt, um gezielt relevante Fragen aufgreifen und passende Antworten liefern zu können. Viele Beteiligte seien im Alltagsgeschäft gebunden; umso wichtiger sei eine strukturierte Zusammenarbeit.
Aus Sicht der Praxis mahnte Christoph Förster abschließend, dass hinsichtlich des Themas Klimawandel und insbesondere der Frage, wie Böden klimastabil gemacht werden können, „die Zeit wegrennt“. Zwar gebe es bereits wertvolle Erkenntnisse, doch die Unterschiede zwischen den Standorten seien groß – und Zeiträume von fünf bis sieben Jahren bis zu belastbaren Ergebnissen seien aus praktischer Perspektive zu lang. „Wir müssen loslegen“, appellierte der Landwirt. „Wenn es keine Langzeitversuche gäbe, dann …“ Zum Abschluss der Diskussion wurden alle Teilnehmenden gebeten, den Satz „Wenn es keine Langzeitversuche gäbe, dann …“ aus ihrer jeweiligen Perspektive zu vollenden. Dabei entstand ein eindrucksvolles gemeinsames Statement über die Bedeutung dieser Forschungsansätze. Ohne Langzeitversuche, so der Tenor, fehlte es an grundlegenden Prozessverständnissen, die heute unverzichtbar sind. Die Landwirtschaft verlöre wichtige Grundlagen des Bodenschutzes – und damit ihres eigenen „Heimatschutzes“ – und wäre kaum noch zukunftsfähig. Viele Themen, die bereits bearbeitet wurden oder künftig
entscheidend sein werden, blieben unbearbeitet; zentrale Ergebnisse für die Beratung und Praxis gingen verloren. Betriebe könnten sich nicht weiterentwickeln und stünden in absehbarer Zeit vor existenziellen Herausforderungen. Und nicht zuletzt müsste sich die Branche im Zuge der Lebensmittelproduktion allein auf Technologien verlassen, während nur noch Praxisforschungsnetzwerke versuchen könnten, die fehlenden Erkenntnisse abzufedern. Insgesamt zeigte die Diskussion: Langzeitversuche bieten nicht nur Forschungseinrichtungen, sondern auch landwirtschaftlichen Betrieben, der Politik und der Beratung wertvolle Orientierung – insbesondere in Zeiten rascher ökologischer und ökonomischer Veränderungen. Einigkeit bestand darin, dass es viele Synergien gibt, die noch besser gebündelt werden könnten.
Wertvolle Impulse für Praxis, Beratung und Politik Der Hochschultag 2025 veranschaulichte, welche Rolle Langzeitversuche bei der Weiterentwicklung nachhaltiger und ressourceneffizienter Anbausysteme spielen. Die Veranstaltung präsentierte eine große Bandbreite aktueller Forschungsansätze und bot den Teilnehmenden vielfältige Anknüpfungspunkte für die praktische
Umsetzung, fachliche Beratung und politische Strategien.
Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen
Durch intensiven Austausch setzte der Hochschultag erneut wichtige Impulse – und unterstrich, wie langfristige Forschung als Fundament einer zukunftsfähigen Landwirtschaft wirkt.





